Author Mary Stone
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Ein Vorgeschmack auf... Winters Rückkehr

Erstes Kapitel

Bobby Burner ließ einen frischen Eiswürfel in sein Glas mit Johnnie Walker fallen und musterte das Gewimmel der Feiernden. Elite Motors’ jährliche Halloween-Party brummte, und kostümierte Gäste drängten sich dicht an dicht im Ausstellungsraum.

Bobby war glücklich, seine Leute und ihre besseren Hälften fröhlich in kleinen Gruppen zusammenstehen zu sehen, denn zufriedene Mitarbeiter arbeiteten besser und machten ihn damit reicher. Schön, dass das ganze Team heute Abend selig zu sein schien. Während die Fensterscheiben vom Rhythmus des Basses klirrten, standen alle beschwingt beieinander und kippten so viel Alkohol, dass man eine Herde Elefanten darin hätte ertränken können.

Die Party war fantastisch … wie immer. Dafür sorgte Bobby schon.

Ein Zappeln am Boden neben der neonblauen Corvette Stingray fiel ihm ins Auge, und er konnte nur mit Mühe ein Lachen unterdrücken. Paul aus der Buchhaltung kreiselte auf dem Rücken, doch sein Backspin war ziemlich eingerostet. So schlecht hielt sich der nerdige Buchhalter aber eigentlich gar nicht.

„He, wer was kaputt macht, muss es kaufen!“

Bobbys Scherz brachte ihm ein paar Lacher ein, denn neben ihm stand eine angeheiterte Gruppe. Zu ihr gehörte auch seine Rezeptionistin, die heute Abend eine „Sexy Maus“ darstellte. Normalerweise verabscheute er Nagetiere, doch Crystal, die ein tief ausgeschnittenes Minikleid aus Kunstfell mit flauschigen Öhrchen trug, stellte eine Ausnahme dar.

„Hab einfach Spaß, Crys“, winkte er ihr zu, während er weiterschlenderte, „und falls du nicht wissen solltest, wie das geht – ich zeig’s dir gerne.“

Nachdem er ihr mit seinem Whisky zugeprostet hatte, drehte er sich um und durchquerte den Ausstellungsraum auf der Suche nach seiner Frau. Wo zum Teufel steckte sie? Er brauchte sie nicht lange zu suchen, denn das Glucksen ihres einzigartigen Kicherns lenkte seine Aufmerksamkeit auf ein gemütliches Fleckchen hinter einem roten Porsche Cayenne.

Tawny, seit dreizehn Jahren seine Angetraute, presste gerade ihre Brüste gegen den Arm seines jüngsten Verkäufers. Chad, der fantastisch aussehende Mitarbeiter, an den sie sich herangemacht hatte, erzählte ihr breit grinsend irgendeine offenbar faszinierende Anekdote. Dem zweiundzwanzigjährigen Blödmann schien es scheißegal zu sein, dass Bobby das skandalöse Verhalten aus nächster Nähe beobachtete.

Und Bobby war es, ehrlich gesagt, ebenfalls scheißegal. Als seine Frau den hautengen Catwoman-Bodysuit aus Latex angezogen hatte, war ihm sofort klar gewesen, dass sie heute Abend Blut sehen wollte.

Junges Blut.

Außerdem – das Sahnehäubchen obendrauf - ging Chad als Batman. Damit würde die betrunkene Tawny sich zweifellos verteidigen, wenn Bobby und sie sich um Mitternacht stritten. Er hatte ihre Stimme fast schon im Ohr …

„Was hätte ich denn tun sollen, Bobby? Es war Schicksal.“ Dabei würde sie das letzte Wort so stark in die Länge ziehen, dass er am liebsten kotzen wollte. „Ich kann den ganzen Abend an deinem Arm hängen, aber dann trag du das Batman-Kostüm. Hab ich dir extra gekauft. Stattdessen musstest du dich ja total langweilig als James Bond verkleiden.“

Tawny würde sich einreden – hatte sich bestimmt bereits eingeredet -, er sei selbst schuld, dass sie ihn während der Party ignoriert hatte. Es war immer seine Schuld, egal wann oder unter welchen Umständen.

Die Schlampe.

Er wartete darauf, von einer Woge eifersüchtigen Zorns erfasst zu werden, doch tatsächlich spürte er nur ein beginnendes Brennen im Magen. Vielleicht war das die Wirkung der vier starken Drinks, die er heute Abend gekippt hatte, oder aber des guten Dutzend Jahre, in denen Tawny ihm klargemacht hatte, dass Ehe und Kinder für sie keineswegs bedeuteten, zur Ruhe zu kommen. Im Moment war Bobby sich jedenfalls sicher, dass er sich fünfmal eher von Tawny scheiden lassen würde, als Chad zu feuern.

Der Junge wusste wirklich, wie man Autos verkaufte.

„Auf die richtigen Prioritäten!“ Mit diesem spöttischen Trinkspruch auf das glückliche Paar hob Bobby seinen Whisky und trank einen Schluck. Seine eigene Priorität war es, dafür zu sorgen, dass sein Autohausimperium weiter florierte.

„He!“, rief Chad mit prahlerischer Stimme. „Chefi, wirf mir doch noch ein Bier rüber, okay?“

Der junge Mann sprach verwaschen und grinste betrunken in der Gegend herum. Dabei entging ihm der feindselige Blick, der zwischen Tawny und seinem Chef gewechselt wurde. Bobby holte eine Dose und zielte damit nach Chads Kopf, sorgfältig darauf bedacht, nicht den Porsche zu treffen.

„Trink so viel du willst, Junge.“ Er marschierte an den beiden vorbei zum Ausgang und murmelte dann mit zusammengebissenen Zähnen: „Und spiel dann im Verkehr Risiko, du egoistischer kleiner Scheißkerl.“

Vielleicht regte er sich mehr über die Sache mit Tawny auf, als er zugeben wollte.

Bobby öffnete die Tür, trat in den frischen Oktoberabend hinaus und schaute auf seine Flotte schicker Luxusfahrzeuge. Es war eine Woche vor Halloween, und das Wetter in Texas war kühler als üblich. Der Glanz von Chrom und Stahl, der im Lampenlicht funkelte, besserte seine Laune sofort. Von so etwas wurde ihm warm ums Herz.

Geld. Geld. Geld.

Nach seinem Rückzug aus dem Zweite-Liga-Baseball hatte sich ihm eine ganz neue Welt finanziellen Wohlstands eröffnet, aber für Bobby war es nie genug. Das lukrative Imperium von Elite Motors würde sein Vermächtnis sein, und es sollte groß werden. Seine Söhne würden sich keine Sekunde ihres Lebens um Geld sorgen müssen.

Stolz schwellte seine Brust. Mit ausgebreiteten Armen stolperte er vorwärts, so unsicher auf den Beinen, dass sein Drink überschwappte. Der Anblick seiner Schätze trieb ihm betrunkene Tränen in die Augen. „Du hast deine Sache so gut gemacht, Bob. Du hast …“

Eine Bewegung ganz hinten auf dem Stellplatz ließ ihn stutzen. Anscheinend war er nicht der einzige arme Kerl, der mal eine Pause von der Feier brauchte.

Als Bobby sich jedoch die Augen trockenwischte, spürte er ein Kribbeln des Unbehagens auf der Kopfhaut. Die Gestalt, die sich auf dem Gebrauchtwagenplatz herumtrieb, war kein Partygast. Sie trug ein überdimensioniertes Kapuzenshirt, das ihr Gesicht verhüllte, und die gebeugte Haltung ließ in Verbindung mit den verstohlenen Bewegungen auf alles andere als gesetzeskonforme Absichten schließen.

Bobby holte tief Luft und richtete sich auf.

Irgendein Drecksack versucht, eins von meinen Autos zu klauen, während sich alle im Ausstellungsraum einen ansaufen.

Ganz schön pfiffig. In Gegenwart so vieler Leute würde keiner mit einem Diebstahl rechnen.

Vom Whisky aufgepeitscht, schoss Bobby das Adrenalin ins Blut. Wer immer der Kerl war, er hatte sich mit dem falschen Mann angelegt. Bobby Burner herrschte über sein Automobilimperium und würde nicht zulassen, dass ein mieser Gangster dort Unfug trieb.

Er raste los, als sprintete er zur Home-Base, und stieß dabei ein Brüllen aus, das den Idioten sicherlich verjagen würde. „Was zum Teufel denkst du dir eigentlich, du Arschloch?“

Je näher er dem kleinen Scheißer kam, desto stärker erfüllte ihn eine Woge stolzer Männlichkeit. Doch das Gefühl verschwand sofort, als der Eindringling einen Baseballschläger schwang und ihn brutal in die Rippen schlug.

Der Schmerz explodierte in Bobbys Brustkorb, und er fiel wie ein Stein auf das harte Pflaster. Lang auf dem Rücken ausgestreckt, versuchte er, sich auf das Gesicht über ihm zu konzentrieren, doch der in seinen Rippen lodernde Schmerz machte, dass ihm alles vor den Augen verschwamm.

Beweg dich. Du musst dich bewegen.

Mit einem gequälten Keuchen wälzte er sich auf alle viere und rang um Atem, um dem Verrückten mit dem Baseballschläger alles anzubieten, was er sich nur wünschte. Autos, Geld oder eine heiße Nacht mit Tawny. Alles für eine einzige Minute, in der Bobby sich erholen und sein Gleichgewicht zurückerlangen könnte.

Ich brauche Hilfe. Ich bekomme keine Luft. Ich muss …

Ein Zischen in der Luft war Bobbys einzige Warnung, dass der Schläger erneut auf ihn niederging. Das Geräusch kannte er aus seiner Baseball-Zeit.

Die beste Zeit meines Lebens.

Statt eines kleinen weißen Balles traf der Schläger seinen Schädel und erzeugte einen Funkenregen in seinem Kopf, der seinen rasenden Gedanken unvermittelt ein Ende setzte.

Zweites Kapitel

Winter Black-Dalton beugte sich über die Verandabrüstung, trank einen Mokka-Latte und genoss die kühle Januarluft, während die Vögel, die in den Wipfeln der Eichen zwitscherten, ihr ein Ständchen brachten. Schräg gegenüber an der Straße wartete eine kleine Kinderschar an der Bushaltestelle, fröhlich und sorgenfrei. Ihr Gelächter drang in Winters Ohren und lockte ein Lächeln auf ihre Lippen.

In der entgegengesetzten Richtung blieb eine Frau, die einen Babybuggy schob, auf dem Bürgersteig stehen, um mit einem älteren Paar zu plaudern, das seine zwei Bassets spazieren führte. Hunde und Besitzer hatte Winter bereits kennenlernen dürfen.

Alles in allem fühlte sich dieser friedliche Morgen in Austin, Texas ein bisschen so an, als wäre sie in eine Traumwelt versetzt worden.

Schon die erste Woche im Stadtviertel Destiny Bluff hatte Winter reichlich Gelegenheit verschafft, sich mit der herzlichen Grundstimmung in der Gegend vertraut zu machen. Nachbarn eilten herbei, um einander beim Hereintragen des Supermarkteinkaufs zu helfen. Gelegentlich rief einem jemand aus dem Garten zu, man solle doch etwas vom leckeren Gegrillten probieren. Selbst im Januar waren die Rasenflächen gepflegt. Gewiss, es gab kein Meer und keinen Strand, doch das glückliche kleine Stadtviertel war seine eigene Art von …

„Paradies.“ Noah sagte das Wort leise. Er war hinter sie getreten und legte ihr die Arme um die Taille. „Ich hab dir immer gesagt, Texas ist das Paradies, Darling.“

Winter drehte sich in seinen Armen um, sorgfältig bemüht, ihren Latte nicht zu verschütten. „Das hast du. Und ich habe nie daran gezweifelt, dass es das für dich auch tatsächlich war.“ Lächelnd schmiegte sie sich an seine hochgewachsene Gestalt und umfing seine Wange mit der Hand. „Ich hätte nur nicht erwartet, ich würde irgendwann hier stehen und es genauso sehen.“

Noah drückte ihr einen Kuss auf die Stirn, trat dann zurück und rückte seine Krawatte gerade. „Und? Sehe ich aus wie ein erfahrener FBI-Agent, der bereit ist, die Bürger von Texas gegen alle finsteren Machenschaften zu verteidigen, die auf sie lauern könnten?“

Lachend strich sie mit der Hand über die seidige Krawatte. „Ja … aber du klingst wie der Off-Kommentar einer testosterongetriebenen Filmpremiere. Mein Rat wäre, für den Rest des Tages die Zeichensprache zu verwenden.“

Noahs theatralischer Seufzer war laut genug, um auch noch zwei Straßen weiter zu hören zu sein. „Na, schon ist es vorbei mit meinem Selbstvertrauen am ersten Tag.“

Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und bat ihn mit einem Kuss auf den Mundwinkel um Vergebung. „Das war nur ein Scherz. Du wirst deine Sache großartig machen. Außerordentlich. Beim Anblick meines schneidigen intelligenten Mannes wird allen angesichts seiner FBI-Erfahrung und Weisheit der Mund offen stehen bleiben.“

Lachend schnappte er sich seine Aktentasche und schob sich rückwärts die Verandastufen hinunter. „Und die Welt wird erzittern, wenn die Privatdetektivin Winter Black ihren neuen Pfad gnadenloser Ermittlungen quer durch die geschäftigen texanischen Lande zieht.“

„Jetzt mal ehrlich.“ Kopfschüttelnd beobachtete sie, wie Noah sich zur Zufahrt umwandte und dabei fast über seine eigenen Füße stolperte. „Mit der Dramatik übertreibst du es ein bisschen.“

Zwinkernd warf er ihr einen Luftkuss zu, stieg in seinen Pick-up und rollte über die Straße davon. Dass er den Nachbarn im Vorbeifahren immer wieder freundlich zuwinkte, erfüllte sie mit einem weiteren zufriedenen Kribbeln.

Wie schön, dass wir hier sind.

Der Umzug war die richtige Entscheidung gewesen. Die neuen Lebensumstände gestatteten ihnen, schmerzhafte Erinnerungen in Virginia zurückzulassen, und boten ihnen gleichzeitig die Möglichkeit, ihre kleine Familie zu einem sicheren Hafen zu machen. Noahs Schwester Lucy Dalton lebte bereits in Austin, und Winter war so lange beharrlich geblieben, bis sie ihre Großeltern ebenfalls zum Umzug überreden konnte.

Jetzt wohnten Gramma Beth und Grampa Jack nur vier Straßen weiter im selben Viertel.

Sie trank ihren Kaffee, froh über das Fehlen jener Angst, die einen so großen Teil ihres letzten Jahres in Texas geprägt hatte. Texas war ein Neuanfang, doch der Hauptgrund für ihr neugefundenes Gefühl von Frieden war das Wissen darüber, was – oder vielmehr wer – sicher in einem unterirdischen Kerker verwahrt wurde. Nun würde sie nie mehr voller Furcht darauf warten, dass ihr kleiner Bruder, der Serienmörder, wieder zuschlug. Nie mehr müsste sie sich in sein krankes Spiel hineinziehen lassen, das darin bestand, sie mit der Sorge zu quälen, welches unschuldige Leben er als Nächstes auslöschen würde, nur um sie zu peinigen.

Die blutrünstige Herrschaft Justin Blacks war vorbei, und das war für alle Menschen auf Erden nur gut.

Insbesondere aber für Noah und sie.

Winter umfing den warmen Becher mit den Händen und wandte sich zu ihrem neuen Zuhause um. Das klassische weiße zweigeschossige Haus im Craftsman-Stil hatte marineblaue Fensterläden und einen weißen Lattenzaun. Links der Haustür hing eine Verandaschaukel. Und rechts der Tür wartete eine kleine Armee von Terrakotta-Blumentöpfen darauf, dass Noah im Frühling seinen grünen Daumen ausprobierte.

Außerdem hatte er Winter auch einen Rosengarten versprochen. Die Vorstellung gefiel ihr, vorausgesetzt, er richtete sich nach ihrer einzigen Bitte: Die Blumen durften jede Farbe haben, nur nicht rot.

Ein Schauer lief Winter über den Rücken und erfüllte den so friedlichen Morgen mit einem Gefühl böser Vorahnungen. Als sie erst dreizehn war, hatte ein Wahnsinniger namens Douglas Kilroy – alias der Preacher – Winter ihre Familie geraubt. Er hatte ihre Eltern ermordet, Justin entführt und Winter eine schwere Kopfverletzung zugefügt, bevor er sie als tot liegen ließ.

Eine Notoperation hatte ihr das Leben gerettet, doch danach war Winter nicht mehr dieselbe gewesen. Zusätzlich zu ihrem Trauma und der Trauer um den Verlust hatte sie eine unerwünschte Fähigkeit erworben, die es wissenschaftlich gesehen gar nicht geben konnte. Manchmal war die Sache so einfach wie ein roter Umriss oder ein roter Schimmer um einen Gegenstand oder an einem Ort, der sie auf Spuren und Informationen aufmerksam machte und ihr half, einen Fall zu klären.

Bei anderen Gelegenheiten aber löste das Ganze eine höllische Migräne aus.

Winter rieb sich geistesabwesend die Schläfen und freute sich, dass das seit ihrem Umzug nach Texas noch kein einziges Mal geschehen war. Bisher.

So ein verheerend schmerzhafter Anfall, immer begleitet von heftigem Nasenbluten, verschlimmerte sich rasch, bis sie schließlich das Bewusstsein verlor. Dann begannen die Visionen. Ein ganzer Film lief ab, der manchmal durchaus sinnvoll war, aber allzu oft einfach nur verschwommen und verwirrend.

Diese besonderen Fähigkeiten waren die Folge jener schicksalhaften Nacht vor langer Zeit, und mit einem Teil ihrer selbst hoffte Winter inständig, dass nach dem klaren Schnitt, den sie vorgenommen hatte, vielleicht auch dieser verfluchte sechste Sinn hinter ihr zurückgeblieben war.

Konzentrier dich. Gabe hin oder her, dies ist dein erster Tag in deinem neuen Job. An die Arbeit.

Nach dem Eintreten durchquerte Winter ihr Haus und bewunderte – zum x-ten Mal – die Hartholzböden, die Türbögen und die kräftigen Balken. „Wir haben da etwas Gutes ausgesucht.“

Ihre Bemerkung hallte von den noch fast leeren Wänden wider und erfüllte die Zimmer voller erst halb ausgepackter Umzugskartons mit Echos. „Wir bringen alles in Ordnung, langsam, aber sicher.“ Wobei im Moment „langsam“ die Oberhand zu haben schien.

Winter setzte ihren Weg durch den Flur bis zu ihrem Arbeitszimmer im Erdgeschoss fort und betrachtete den Raum zufrieden. Ihr Büro war bescheiden, doch sie könnte sofort darin loslegen.

Sie hoffte nur, dass sie selbst ebenfalls bereit war.

Sie verharrte kurz in der Tür, kämpfte gegen einen Schauer der Erregung an und versuchte die Tatsache zu verarbeiten, dass sie nicht mehr Special Agent des FBI war. Stattdessen besaß sie nun offiziell Black Investigations, ein Ermittlungsbüro, das vom texanischen Amt für öffentliche Sicherheit lizenziert worden war und nun als unabhängige Privatdetektei arbeiten durfte.

Ein Neuanfang, ganz auf sich selbst gestellt.

Sogar ihr Unternehmensname war allein ihr eigener. Noah hatte darauf bestanden, dass sie die Detektei unter ihrem Mädchennamen betrieb, denn: „Darling, wir sind in jeder Hinsicht ein Team“, hatte er gesagt, „aber dieses Büro gehört nur dir. Ich werde tausendprozentig bis zum letzten Atemzug hinter dir stehen, ob du nun meinen Nachnamen führst oder nicht.“

Sie hatte den Laufbahnwechsel selbst gewählt, doch das machte den Einstieg in ihre Rolle als Privatdetektivin nicht weniger einschüchternd. Winter war daran gewöhnt, mit der Unterstützung eines Teams von talentierten, intelligenten und gut ausgebildeten Kollegen zu arbeiten.

Gerade um diese Tageszeit würden ihre alten Freunde in der Außenstelle Richmond eintrudeln, einander begrüßen und sich auf einen neuen Fall vorbereiten, um einen neuen Psychopathen zu fassen. Ihre beste Freundin Autumn Trent würde …

Du kannst sie später noch vermissen. Jetzt. Ist. Es. Zeit. Zur. Arbeit.

Mit einem tiefen Atemzug bekämpfte sie einen plötzlichen Anfall von Traurigkeit, ging zu ihrem Schreibtisch und ließ sich in ihrem Bürostuhl mit den Rollen nieder. Das rot blinkende Licht ihres Festnetztelefons signalisierte, dass etwas auf ihrem Anrufbeantworter gelandet war.

Sieht so aus, als hätte ich das verdammt viele Geld für die Werbung gut angelegt.

Sie mochte in ihrem neuen Beruf auf sich gestellt arbeiten, würde sich aber hoffentlich nicht langweilen müssen.

„Los geht’s.“ Winter schaltete den Lautsprecher ein und drückte auf Abspielen.

„Sie haben … siebzehn … neue Nachrichten.“

Sie riss die Augen auf, als die Computerstimme diese Ansage machte. „Siebzehn? Jetzt schon?“

Mit einem Blick auf den Kalender vergewisserte sie sich, dass ihre Anzeigen wirklich erst seit vier Tagen öffentlich waren, dann nahm sie einen Stift und begann zu notieren, während die Nachrichten abgespielt wurden.

Die erste kam von einer örtlichen Autoversicherungsgesellschaft, die um Hilfe bei der Aufdeckung eines Betrugs bat. Als Nächstes sprach ein Mann, der überzeugt war, dass seine Ex-Frau die von ihm gezahlten Alimente für das Kind mit Maniküren und Shoppingausflügen auf den Kopf haute. Die dritte Nachricht stammte von einer Frau, die ihre Telefonnummer aufgesprochen hatte und sonst nichts.

Etwas von Winters anfänglicher Erregung verblasste. So weit, so langweilig. „Komm schon, jetzt mal was Gutes.“

Bei Nummer vier ging es um einen weiteren vermuteten Versicherungsbetrug, doch der fünfte Anruf erfüllte Winters Wunsch.

„Ich heiße Mahoney Fitzgerald und bin bereit, jede beliebige Summe zu bezahlen, damit Sie für mich arbeiten.“ In der Stimme des Mannes schwang unverkennbar Verzweiflung mit. „Ich habe … hm … In meinem persönlichen Leben ist eine Situation entstanden, um die man sich kümmern muss. Unverzüglich. Bitte rufen Sie mich schnellstmöglich zurück. Meine Nummer ist …“

Winter zog ihren Notizblock näher und notierte die Ziffern. Sie brauchte keinen sechsten Sinn, um zu spüren, wie schlecht es dem Anrufer ging. Irgendetwas in seinem Leben war schrecklich schiefgelaufen, und es ließ sich nicht leugnen, dass ihr Interesse geweckt war. Sie atmete tief durch, um sich zu beruhigen, und drückte dann auf Rückruf.

Es hatte noch keine zwei Mal geläutet, da nahm der eventuelle Klient bereits ab. „Mahoney Fitzgerald.“

„Mr. Fitzgerald.“ Sie legte alles Selbstvertrauen, das sie im Laufe der Jahre erworben hatte, in ihre Telefonstimme. „Hier spricht Winter Black. Ich melde mich wegen Ihres Anrufs bei Black Investigations. Haben Sie kurz Zeit, mit mir über Ihren Fall zu reden?“

Aus dem Lautsprecher drang lautes Lachen, ein schreiender Kontrast zu der unverkennbaren Sorge, die eben auf dem Anrufbeantworter so klar zu vernehmen gewesen war. „Natürlich nicht. Ich bin ein sehr beschäftigter und bedeutender Mann, Miss Black. Und ich sehe auch gut aus, falls Sie sich das gefragt haben sollten.“

Winter kämpfte gegen eine Enge in ihrer Kehle. „Ich bin Mrs. Black-Dalton, aber Sie können mich Mrs. Black nennen.“ Auch wenn ihre Firma auf ihren Mädchennamen lief, genoss sie es doch, den Blödmann ein wenig zurechtzustutzen, indem sie ihren Ehenamen nannte. „Falls Sie mich lieber später zurückrufen würden …“

„Nein!“ Es war fast ein Aufschrei. „Jetzt passt es gut. Und bitte, nennen Sie mich Fitz.“

„Okay, Fitz.“ Auf Winters Zunge lagen bereits ein paar weitere Spitznamen, und keiner von ihnen war so wohlwollend wie der Name, den der Mann selbst genannt hatte. „Würden Sie mir bitte einen gewissen Einblick in Ihre Lage verschaffen?“

Während der nun verstreichenden Sekunden tickte ihre hölzerne Wanduhr laut. Als sie sich allmählich fragte, ob Fitz entweder aufgelegt hatte oder in Ohnmacht gefallen war, ertönte seine dröhnende Stimme erneut. „Meine Freundin ist verschwunden. Vor zwei Wochen ist der Kontakt zu ihr einfach abgerissen, und ich … ich mache mir Sorgen um sie. Ich glaube, dass ihr etwas Furchtbares zugestoßen ist.“

Winter schluckte ein wütendes Stöhnen herunter. So viel zur Hoffnung auf einen spannenden Fall. Wenn sie Fitz richtig verstand, wollte er, dass sie eine Frau aufspürte, die ihn geghostet hatte. Die einfach gegangen war, ohne sich abzumelden.

Erstaunlich war das nicht. Nachdem sie nur vierzig Sekunden mit dem Mann geredet hatte, konnte sie diese Versuchung wunderbar verstehen.

Sie packte ihren Stift fester. Bleib professionell. Nutze dieses Gespräch als Übung für echte Kunden.

„Wie alt ist Ihre Freundin?“

„Einunddreißig.“

Eine Erwachsene. Das war gut, doch es machte das, was sie ihrem potenziellen Klienten zu sagen hatte, nur noch schwerer zu verdauen.

„Es ist nicht so ungewöhnlich, dass eine Person aus freien Stücken verschwindet. Das geschieht öfter, als Sie vielleicht glauben, und aus den unterschiedlichsten Motiven. Könnten Sie mir genauer sagen, wieso Sie vermuten, dass ihr etwas zugestoßen ist?“

Sie kritzelte einen kleinen Geist neben Fitz’ Telefonnummer, während sie auf seine Antwort wartete.

Nachdem wieder ein paar Sekunden verstrichen waren, räusperte er sich. „Schauen Sie, die eigenartige Sache ist die: Alle, die sie kennen“, er stieß die Luft aus, und sein Atem pfiff im Lautsprecher, „zumindest die Leute, die ich getroffen habe, während sie direkt neben mir stand … die wollen mir einreden, dass sie gar nicht existiert hat.“

Winters Rückkehr Veröffentlichungen am 16. Dezember. Jetzt zu Goodreads hinzufügen.

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Winters Rückkehr (Winter Black Serie - Band 10) by Mary Stone

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